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Über Kleidung und Selbstbewusstsein

Zu alt für die Lieblingsjeans? Zu jung für den beigen Pullover? Wir gehen der Frage nach, wie Kleidung und Selbstbewusstsein zusammenhängen. Jetzt lesen.

Was wir anziehen und wie wir unsere Kleidung wählen, ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Mal tragen wir etwas, weil es sich so gehört. Ein andermal orientieren wir uns daran, was andere als schick empfinden. Vielleicht kleiden wir uns auch ganz ohne darüber nachzudenken. Dabei beeinflussen Kultur und Gesellschaft unseren Kleidungsstil maßgeblich.
Wir alle haben Vorstellungen davon, was andere von unserem Aussehen halten. Bin ich zu alt, um diese Jeans zu tragen? Bin ich zu jung für den beigefarbenen Pullover? Welcher Zusammenhang zwischen Anziehsachen und Selbstbewusstsein besteht, und was Kleidung in unserem Kopf anstellt, klärt dieser Artikel. 

 

Von Idealbildern und Selbstbildern

Woran liegt es, dass wir in bestimmten Kleidungsstücken selbstbewusster sind als in anderen? Wieso kommt es uns so vor, als könnten wir im Lieblingskleid plötzlich die Weltherrschaft an uns reißen, während wir im Schlabberpulli nicht mal vor die Tür gehen möchten? Liegt es daran, dass wir in dem neuen Kleid ein bisschen mehr so aussehen wie das gesellschaftliche Ideal, das wir über die Jahrzehnte verinnerlicht haben? Im Anzug sehen wir ein bisschen so aus wie der Chef. Mit der Hose ein bisschen wie der Typ Mensch, der wir immer sein wollten.

Kleidung zeigt, was wir von anderen halten – und von uns selbst

Wir alle haben Haltungen, Ideale und Ziele. Wir orientieren uns an Personen oder Gruppen, die diese Werte für uns darstellen. Unbewusst verbinden wir bestimmte Kleidungsstücke mit Personen, die wir schätzen und bewundern. Und letztlich sind auch die Werte entscheidend, die uns ein solches Kleidungsstück näherbringen kann. Wir signalisieren unsere Zugehörigkeit zu Subkulturen, zu sozialen Schichten, Altersgruppen oder Berufszweigen.

Kleidung und die sozialen Medien

Der Unterschied zu früher? Heute machen es die sozialen Medien einfacher, Ideale zu verbreiten. Wir sehen rolemodels auf Instagram und wünschen uns, so zu sein wie sie. Nicht selten verfolgen wir unrealistische Ideale. Aber zugleich ist es leichter geworden, Menschen und Gruppen ausfindig zu machen, die dieselben Ideale vertreten. Jugendliche fühlen sich bestärkt durch Gemeinschaften und Idole. Fast Fashion Brands und Retailer ermöglichen es ihnen, das liebste Kleidungsstück binnen zwei Wochen zu einem Zehntel des Preises zu kaufen. 

 

Das Älterwerden des Geschmacks

Klar, Jugendliche, denken wir. Aber was, wenn wir erfahrener sind? Wenn wir uns Werte und Meinungen anhand persönlicher Erfahrung gebildet haben und unsere Persönlichkeit reifer ist? Was Kleidung betrifft, orientieren wir uns – meist intuitiv – an Personen gleichen Alters. Vielleicht ist der Kreis jener Leute, deren Stil man teilt, kleiner geworden. Aber die unbewusste Suche nach Vorbildern bleibt. Vielleicht sind es Menschen aus dem Bekanntenkreis – oder jene mit vergleichbarem Einkommen – an denen wir uns nun orientieren. 

 

Arbeitskleidung – Mehr als Overalls und Handschuhe

In vielen Berufen schlüpfen wir tagtäglich in Rollen. Wir werden zu einer Person, mit der bestimmte Eigenschaften und Merkmale assoziiert werden. Uniformen beispielsweise vermitteln Autorität. Würde ein Pilot oder ein Rettungsassistent Alltagskleidung tragen, wäre das Vertrauen in seine Fähigkeiten auf den ersten Blick nur halb so groß. 

Wir ziehen unsere Arbeitskleidung an und tragen plötzlich auch äußerlich die Verantwortung zur Schau, die mit unserem Beruf einhergeht. Folglich versuchen wir den Erwartungen gerecht zu werden. Macht uns die Arbeitskleidung also zu besseren Menschen? 

Anzugträger gleich Leistungsträger?

In einer Studie von Adam Galinsky und Hajo Adam mussten Probanden eine Reihe von Konzentrationsaufgaben lösen. Dabei trugen manche von ihnen weiße Arztkittel, während andere ihre alltägliche Kleidung anbehielten. Die Probanden in Weiß schnitten deutlich besser ab – bestärkt durch die Wirkung des Kittels und die mit ihm verbundenen Eigenschaften. Dieser psychologische Effekt wird als enclothed cognition bezeichnet. Er beschreibt den Einfluss der Kleidung auf mentale Prozesse. 

All das ist freilich abhängig von den Assoziationen, die wir mit einem Kleidungsstück verbinden. Ein weißer Kittel kann – unabhängig von dem Kleidungsstück als Solchem – verschiedene Fertigkeiten zum Ausdruck bringen. Ein Arztkittel etwa steht für Professionalität, ein Malerkittel für Kreativität. Mit einem Anzug verbinden wir Seriosität, denn Menschen in Anzügen treffen wichtige Entscheidungen. Sie ‘bekleiden’ hohe Ämter und leiten Unternehmen. Wenn wir so einen Anzug tragen, scheint die Möglichkeit, selbst so jemand zu sein, nicht so abwegig. Unser Aussehen stimmt, das Selbstbewusstsein und das Pflichtgefühl folgen.

 

Psychologie der Farben

Die Farbe hat ebenfalls einen Effekt. Welche Kleiderfarbe zu mir passt, ist vom individuellen Typ abhängig. Blau vereint Ruhe und Tiefe, steht aber auch für Distanz, Kühle und Seriosität. Rot dagegen gilt als Signalfarbe. Es erregt Aufmerksamkeit, signalisiert Stärke, Lebenskraft – und manchmal auch Aggressivität. Gelb ist sehr lebendig und dynamisch.
Die zwei Extreme auf dem Farbspektrum, schwarz und weiß, werden dagegen mit besonderen Anlässen in Verbindung gebracht, zum Beispiel mit Trauerfeiern und Hochzeiten. Gilt weiß als unschuldig und rein, symbolisiert schwarz eher Ehrgeiz und Seriosität, strahlt zugleich auch Formelles und Eleganz aus.

 

Ungeschriebene Gesetze der Kleidung

Unsere Gesellschaft kennt viele ungeschriebene Kleidercodes, an die wir uns halten, und die wir selten hinterfragen. Kaum jemand geht im Schlafanzug einkaufen, obwohl es sicher bequemer wäre. In Laufhosen zum Meeting zu erscheinen, dürfte als unhöflich gelten. Sich entsprechend eines Anlasses zu kleiden zeigt, dass dieser uns wichtig ist und wir uns bemühen. Wir nehmen die Sache ernst und verleihen ihr Nachdruck. In einem Blazer machen wir einfach einen professionellen Eindruck. Wir tragen Seriosität nach außen. Menschen nehmen uns anders wahr und behandeln uns respektvoller. Wenn wir einen hochwertigen Anzug tragen, stehen wir automatisch gerader, nicht zuletzt, weil das die Haltung ist, die von uns erwartet wird. In einem Pyjama dagegen ist der Erwartungsdruck ungleich geringer – aber wer sich auf der Couch wohlfühlen will, wird kaum ein Besseres Kleidungsstück finden. Kurz: Kleidung lässt uns in Rollen schlüpfen. 

Welche Werte sind mir wichtig?

Heutzutage herrscht ein stärker werdendes Bedürfnis danach, zu erfahren, woher unser Essen stammt und wo – und von wem – unsere Konsumgüter produziert werden. Das sollte auch bei Kleidung nicht anders sein. Wer hat mein T-Shirt hergestellt – und unter welchen Bedingungen? Welche Materialien wurden dafür verwendet. Wo begann die Lieferkette?
Die Grundfrage hinter diesen Überlegungen lautet: Stimmen die Prozesse mit meinen Werten und Idealen überein? Normen wie Empathie und Umweltschutz, die in der Gesellschaft lange etabliert sind, fehlen in großen Teilen der Modeindustrie weiterhin. 

Kleiderwahl: Mehr als nur wohlfühlen

Sich in seiner Kleidung wohlzufühlen, sollte deshalb mehr sein als nur ein schöner Schnitt oder eine Farbe, die mir schmeichelt. Es sollte darum gehen, sich ganzheitlich und bewusst zu entscheiden: Für fair hergestellte Kleidung. Für ressourcenschonende Herstellungsprozesse. Das Bewusstsein für solche Werte nach außen zu tragen, heißt, Selbstbewusstsein zu kultivieren.
In diesem Sinne lohnt es sich, einmal genauer zu überlegen, welches Kleidungsstück ich wähle und warum es mir so gut gefällt. Denn erst wenn ich mir meiner Werte und Haltungen bewusst bin, kann es mir gelingen, diese nach außen zu tragen. 

Umso besser wird es sich anfühlen, in den Spiegel zu blicken.

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